Eine Held:innengeschichte aus der Reihe »Geschichten des Gelingens«, erzählt von Helene Zand
Hélène und Andreas Reiter-Viollet haben Architektur studiert und führen bis Ende der 2000er Jahre gemeinsam ein Architekturbüro in Graz. Sie sind Ende dreißig, als sie sich für Veränderung entscheiden. Für Hélène gibt es zu wenig Gestaltungsspielraum in der alltäglichen Architekturarbeit und sie stellt sich überhaupt die Sinnfrage, in dem was sie tut. Andreas geht es ähnlich und so stehen sie beide vor der Frage: Wie können sie die kommenden Jahre mit etwas Sinnhaftem füllen? Bei der Entscheidungsfindung helfen die Erfahrungen, die Andreas seit seiner Teenager-Zeit im Fairen Handel gemacht hat. Die Wertehaltung der Fair-Trade-Idee – das Zusammenspiel von Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit und sozialer Verantwortung – überzeugt sie beide. Außerdem ist Andreas ehrenamtlich seit vielen Jahren in einem entwicklungspolitischen Verein aktiv, unter anderem in der Funktion als Vereinsobmann. Und Hélène betreut als Architektin die Neugestaltung vieler »Weltläden« in ganz Österreich.
Schlüsselerlebnisse: Wir gehen unseren eigenen Weg.
Im Jahr 2009 ergibt sich die Chance, ein eigenes »Fachgeschäft für Fairen Handel« zu eröffnen, und Hélène entscheidet sich dafür: Ein eigener Shop mit tollen Produkten und einer wunderbaren Idee dahinter, dem Fairen Handel. »Die Herausforderung war enorm. Denn wir wollten erstmals beweisen, dass es möglich ist, hauptberuflich ein Geschäft mit fair gehandelten Produkten zu führen. Das heißt, am Ende sollten nicht nur die Produzent:innen, sondern auch unsere Mitarbeiter:innen und wir selbst davon leben können.« Das bedeutet also, nicht mehr von ehrenamtlicher Mithilfe und Vereinsarbeit abhängig zu sein, wie sie es aus der Weltladen-Szene kannten. Das heißt auch, Geld in die Hand zu nehmen, zu investieren, zu riskieren und sehr viel zu arbeiten, ohne zu wissen, ob es erfolgreich ist. Ihre Erfahrungen als selbständige Architekten helfen dabei enorm.
Erfolgreiche Entwicklungen, die sich zeigen lassen.
Bereits die ersten Jahre zeigen, dass sie genau auf dem richtigen Weg sind: Ein guter Standort, eine strenge Auswahl an hochwertigen bio-fairen Produkten, ein attraktiver Auftritt und das wachsende Interesse an Nachhaltigkeit sprechen immer mehr Kund:innen an. 2015 bietet sich die nächste Chance: Es ergibt sich die Möglichkeit, den Shop am Tummelplatz deutlich zu vergrößern. Die beiden wagen den Sprung und damit etabliert sich Chic Ethic als größter stationärer Fair Trade Shop in Österreich. 2022 folgt dann der nächste Schritt mit der Eröffnung des ersten bio-fairen Männer & Unisex Shops ganz in der Nähe des Tummelplatzes. Inzwischen ist Chic Ethic österreichweit bekannt für die besondere Auswahl an Fair Fashion und Handwerksprodukten aus Fairem Handel. Der Beweis ist geglückt: Ein Geschäft mit hochwertigen, bio-fairen Produkten hat Erfolg.
Eine neue Welt: Wir sind jetzt Shop-Betreiber:innen
Beide stellen einen sehr hohen Anspruch an sich und ihr Unternehmen: »Wir machen viel mehr als nur irgendwelche Produkte zu verkaufen: Jedes Produkt in unserem Geschäft muss schön, qualitativ hochwertig und von ethisch unbedenklichem Ursprung sein. Jedes Produkt hat eine eigene Geschichte, kommt aus einem sozial engagierten Projekt, aus Fairem Handel, aus biologischem Anbau oder besonderem europäischem Handwerk. Das Ergebnis daraus ist: Viel Einsatz, Recherche und Chic Ethic.«
Risikobereitschaft und eine gute Selbsteinschätzung
Andreas beschreibt das Überschreiten der Schwelle in das Unternehmertum mit einer Metapher aus dem Bergsteigen. »Du musst Risikobereitschaft zeigen, Schwellen und Hindernisse zu überschreiten, um weiter zu gehen. Du musst aber auch genau wissen, was du dir selber zutrauen kannst. Wenn du dich überschätzt, stürzt du leicht ab. Wenn du dich unterschätzt, gehst du nicht los. Uns war klar, dass es wirtschaftlich mit unseren Ansprüchen einer ethischen Produktion sehr knapp werden würde. Ist es im konventionellen Handel schon schwierig zu kalkulieren, so ist es im bio-fairen Handel noch einmal ungleich schwieriger. Auch darf uns im Sinne der Kreislaufwirtschaft von unseren Produkten nichts übrig bleiben. Das gelingt uns auch bisher sehr gut. In 14 Jahren haben wir noch kein einziges neuwertiges Stück weggeworfen.«
Aktuelle Herausforderungen
Mit Covidkrise, Ukrainekrieg, Teuerung und Inflation verändert sich auch das Kund:innenverhalten. Covid war ein Booster für den Onlinehandel: Viele Menschen, die vorher eher nicht Online bestellten, haben sich während Covid daran gewöhnt und sind dabei geblieben. Umso mehr ist der stationäre Handel derzeit gefordert, sich auf seine Stärken zu konzentrieren: Echte Menschen, die kompetent und freundlich beraten; Produkte zum Angreifen und Probieren; ein Ambiente, das anspricht; ein Stadtraum, der zum Flanieren und Verweilen einläd.
Auch das Thema Teuerung und Inflation ist herausfordernd: Einerseits steigen die Ausgaben für Mieten, Gehälter und Energie, andererseits beginnen genau aus den selben Gründen die Kund:innen beim Einkaufen zu sparen. Eine Entwicklung die sehr spannend bleibt.
Herausforderung Greenwashing
Ebenfalls eine große Herausforderung für die gesamte bio-faire Wirtschaft ist das Thema Greenwashing. Konzerne werben mit »grünen, nachhaltigen« Botschaften, die nichts über die tatsächlichen Produktionsbedingungen und Materialien aussagen oder sogar irreführend sind. Greenwashing nimmt stark zu, so stark, dass nationale Verbraucherschutzbehörden und die EU bereits dagegen vorgehen (siehe Greenpeace Report „Die Label-Masche“, Seite 9). In Zukunft sollen Nachhaltigkeits-Behauptungen wissenschaftlich belegt werden müssen. Ebenso soll es eine Vereinheitlichung und Vereinfachung bei Gütesiegeln und Zertifikaten geben. Auch Hélène ist dieser Meinung: »Es gibt derzeit eine Handvoll wirklich hochwertiger Siegel. Die haben wir auch in unserem Shop, wie zum Beispiel GOTS, Fair Trade, Fair Wear, OCS100… der große Rest ist einfach nur irreführend und macht eigentlich das Thema kaputt. Höchste Zeit, damit aufzuräumen!“
»Wenn so eine Idee aufgeht, dann ist das schon ein extrem gutes Gefühl«
Hélène und Andreas: »Die Belohnung für unsere Unternehmensreise ist, dass unser Konzept aufgegangen ist. Wir haben bewiesen, dass bio-fair eine wirtschaftliche Alternative darstellt und auch wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Dass die Produkte hochwertig und leistbar sind. Dass wir die Mitarbeiter:innen und auch uns selbst fair bezahlen können. Niemand wird reich dabei, aber alle können korrekt davon leben, ohne Ausbeutung und Umweltzerstörung, vom Anfang bis zum Ende der Produktionskette. Das ist das große Ziel, für die gesamte Wirtschaft.
Wenn wir zu unseren Produzent:innen reisen und mit eigenen Augen sehen, was unser Einsatz bewirkt, und wenn wir in unserem schönen Geschäft stehen und die vielen tollen Produkte und die positiven Feedbacks unserer Kund:innen erleben, dann wissen wir, dass wir das Richtige tun! Wenn so eine Idee aufgeht, dann ist das schon ein extrem gutes Gefühl.«
Wie geht es weiter?
»Derzeit zeigt sich, ob der Kauf von bio-fairen Produkten nur ein Luxus für Schönwetter Zeiten ist, wenn Besserverdienende ein bischen Geld übrig haben. Oder ein krisenfester Trend, der notwendig für eine positive Zukunft ist.« Hélène und Andreas hoffen, dass es so ist. Denn sie sind überzeugt, dass eine bio-faire Kreislaufwirtschaft eben nicht nur ein Luxus-Thema ist, sondern ein Muss. Denn bio-faire Produktionsmethoden schützen auf der ganzen Welt in besonderem Maße Umwelt und Menschen: Klima, Böden, Tiere, Wasser, Wälder, Bäuer:innen, Arbeiter:innen, Kinder und Erwachsene sowie die Kosument:innen selbst.
»Wir wollen weiterhin mit unserem Unternehmen gesellschaftliche Verantwortung übernehmen und den Wandel von einer linearen, wachstumsorientierten, ausbeuterischen und Umwelt zerstörenden Industrie zu einer Kreislaufwirtschaft hochwertiger, langlebiger und wiederverwendbarer Produkte mitgestalten. Wir wollen diese Prozesse und Entwicklungen auch unseren Kund:innen und Geschäftspartner:innen vermitteln. Und wer weiß, vielleicht gibt es in Zukunft auch einen Second-Hand-Shop für bio-faire Mode.«
Die Erzählerin: Helene Zand, Leiterin Grüne Wirtschaft Steiermark
Dieser Text wurde veröffentlicht im Newsletter der Grüne Wirtschaft Steiermark vom 13.6.2023 und auf der Webseite der Grüne Wirtschaft unter https://www.gruenewirtschaft.at/2023/06/13/die-heldenreise-chic-ethic/.