„Der Weltfriede kann auf die Dauer nur auf sozialer Gerechtigkeit aufgebaut werden.“ *
Ein interessanter Satz. Bedeutet er doch, dass dieser Ruf nach sozialer Gerechtigkeit nicht alleine aus einer politischen oder ethischen Überzeugung heraus formuliert ist; einer Überzeugung, der man je nach Weltanschauung folgen mag oder auch nicht. Nein, dieser Satz bedeutet, dass soziale Gerechtigkeit (nämlich eine überregionale, transnationale, globale Gerechtigkeit) notwendig ist, um Frieden zu gewährleisten. Die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit ist also keine Frage der persönlichen, moralischen Einstellung, es ist eine Frage der Notwendigkeit.
Wenn man nicht weiß, woher dieser Satz stammt, wäre es spannend zu raten…
Tipps würden wohl Richtung Personen aus der linksgerichteten Politikszene, der Friedensbewegung oder Kirchenkreisen gehen.
Aber weit gefehlt: Dieser Satz ist die Erkenntnis aus der Katastrophe des 1. Weltkriegs. Im April 1919, auf der Friedenskonferenz in Versailles, wurde die Bedeutung sozialer Gerechtigkeit als maßgebliches Thema für einen langfristigen Frieden zwischen den Völkern erkannt.
Er ist der Eröffnungssatz und die Kernaussage der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation ILO, die in diesen Tagen ihr 100-jähriges Jubiläum feiert. Sie wurde kurz nach dem verheerenden Weltkrieg mit dem Ziel gegründet, die Welt durch international gültige, soziale Arbeitsstandards ein Stück gerechter und damit friedlicher zu machen.
Die Präambel der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation liest sich heute genauso zeitgemäß wie vor 100 Jahren.
Sie hat nichts an ihrer Gültigkeit verloren, ganz im Gegenteil:
„Nun bestehen aber Arbeitsbedingungen, die für eine große Anzahl von Menschen mit so viel Ungerechtigkeit, Elend und Entbehrungen verbunden sind, dass eine Unzufriedenheit entsteht, die den Weltfrieden und die Welteintracht gefährdet.
Eine Verbesserung dieser Bedingungen ist dringend erforderlich, zum Beispiel durch Regelung der Arbeitszeit, einschließlich der Festsetzung einer Höchstdauer des Arbeitstages und der Arbeitswoche, Regelung des Arbeitsmarktes, Verhütung der Arbeitslosigkeit, Gewährleistung eines zur Bestreitung des Lebensunterhaltes angemessenen Lohnes, Schutz der Arbeitnehmer gegen allgemeine und Berufskrankheiten sowie gegen Arbeitsunfälle, Schutz der Kinder, Jugendlichen und Frauen, Vorsorge für Alter und Invalidität, Schutz der Interessen der im Auslande beschäftigten Arbeitnehmer, Anerkennung des Grundsatzes ‚gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit‘, Anerkennung des Grundsatzes der Vereinigungsfreiheit, Regelung des beruflichen und technischen Unterrichtes und ähnliche Maßnahmen.
Auch würde die Nichteinführung wirklich menschenwürdiger Arbeitsbedingungen durch eine Nation die Bemühungen anderer Nationen um Verbesserung des Loses der Arbeitnehmer in ihren Ländern hemmen. (…)“ *
* Präambel der Verfassung der Internationalen Arbeitsorganisation; Internationales Arbeitsamt Genf, August 2003
Angela Merkel fordert: „Die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen.“
Wie aktuell und brisant dieses Thema ist, zeigt auch die vielbeachtete Festrede von Angela Merkel in Genf anlässlich des 100-jährigen Bestehens der ILO:
In ihrer Rede fordert Angela Merkel bessere Arbeitsbedingungen weltweit, denn „die Wirtschaft hat den Menschen zu dienen.“ Zwei lesenswerte Artikel zu Merkels Rede finden sich unter derstandard.at und www.zeit.de.
Dass ein gerechtes Wirtschaftssystem ALLEN Menschen zu dienen hat und nicht nur einigen wenigen, ist seit Beginn die Grundidee des Fairen Handels. „Fair Trade not Aid“ ist das Motto seit den Ursprüngen der Bewegung.
Heutige Fair Trade -Organisationen und -Labels, wie z.B. WFTO (World Fair Trade Organisation), Fairtrade International, GOTS (Global Organic Textile Standard) oder FAIR WEAR FOUNDATION, basieren auf den Sozial- und Arbeitsstandards der ILO sowie der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte.
Die von den Fair Trade Organisationen geforderten partnerschaftlichen (und nicht ausbeuterischen) Handelsbeziehungen sollen den ProduzentInnen unter anderem ermöglichen, unter sicheren Arbeitsbedingungen, begleitet von sozialen Maßnahmen und für einen fairen Lohn zu arbeiten. (Siehe „Die 10 Prinzipien des Fairen Handels„)
Wenn das nicht so ist, gibt es Folgen, und die spüren wir in unseren reichen westlichen Ländern bereits deutlich:
Flucht, Migration, Extremismus. Vor diesen Folgen können wir uns nicht
verstecken. Und wir können uns auch nur bedingt und höchstens
kurzfristig davor abschotten.
Langfristig führt kein Weg an einer
globalen, sozialen Gerechtigkeit vorbei, wenn wir in einer friedlichen
Welt leben wollen. Das haben kluge Leute bereits vor 100 Jahren im
Schatten der Gräuel des 1. Weltkriegs klar erkannt.