Geld oder Leben: Lebensmittel anbauen, um etwas zu essen zu haben, oder Baumwolle anbauen, um damit ein bisschen Geld zum Leben zu verdienen – vor dieser unmöglichen Entscheidung stehen tausende indische Klein- und Kleinstbauern. Biologischer Anbau und Fairer Handel bringen eine Lösung, die die Entscheidung überflüssig macht.
In den indischen Bundesstaaten Telangana, Maharashtra und Odisha leben viele Klein- und Kleinstbauern. Die Region gehört zu den ärmsten des Landes, besonders schlecht geht es den Adivasi, den Nachfahren der indischen Ureinwohner. Sie gehören neben den Kastenlosen zur sozial und wirtschaftlich am stärksten benachteiligten Gruppe in Indien.
Die Adivasi in diesem Teil Indiens leben vorwiegend vom Feldbau. Um Geld zu verdienen, bauen sie „cash crops“, also geldbringende Anbaupflanzen wie Baumwolle, an. Der konventionelle Anbau zerstört auf Dauer den Boden und ist durch den massiven Chemikalieneinsatz ungesund und teuer – weil sich viele Kleinbauern das nicht leisten können, borgen sie sich das Geld von Zwischenhändlern und Geldleihern. In Jahren schlechter Ernte führt das oft zu hohen Schulden – nicht selten steht am Ende dieser ausweglosen Situation Suizid.
Bio-Anbau und faire Löhne
Um an diesen Zuständen etwas zu ändern, formierte sich vor mehr als zehn Jahre eine Gruppe von Bauern: die „Chetna Organic Farmers Association“. Das Ziel: Die Baumwollproduktion auf Bio-Anbau umzustellen und faire Löhne einzuführen. 2004 begann Chetna zu arbeiten – mit 240 Bauern in 19 Dörfern, die eine Gesamtfläche von ca. 600 ha bebauten, das entspricht in etwa der Fläche des Grazer Stadtbezirks Puntigam. Heute ist Chetna eine nach internationalen Standards bio- und Fair-Trade-zertifizierte NGO. Aus den anfangs 240 Bauern sind 10.000 geworden, die zusammen eine Fläche von 18.000 Hektar bewirtschaften, mehr als doppelt so viel wie die Fläche Österreichs.
Angebaut wird hier nicht mehr nur Baumwolle: Mit der Umstellung auf den Bio-Anbau hat Chetna ein Modell entwickelt, mit dem die Bauern neben der „cash crop“ Baumwolle auch Lebensmittel anbauen können. So wachsen auf den Baumwollfeldern und rundum jetzt auch Tomaten, Auberginen, Mais oder Linsen. Einige der Pflanzen dienen nicht nur als Nahrungsmittel, sondern wirken auch als sogenannte „Fallenpflanzen“, die auf natürliche Weise Schädlinge von der Baumwolle fernhalten.
Wichtigstes Ziel: Ernährungssicherheit
Ein typischer Kleinbauer in der Chetna-Kooperative hat rund drei Hektar Land (in etwa so viel wie vier Fußballfelder), die Kleinstbauern halb so viel oder weniger. Durch den Bio-Anbau können die Bäuerinnen und Bauern nicht nur ihren Lebensunterhalt verdienen, sondern bekommen auch eine wichtige Grundlage für die eigene Ernährungssicherheit. Durch den Fairen Handel erhalten sie zusätzliche Prämien, die in Infrastruktur, Bildung oder Landankauf investiert werden können.
So wurden schon Ausbildungsprojekte für Mädchen gefördert, gemeinsam Linsen- und Getreidemühlen angeschafft oder die Wasserversorgung verbessert, erzählt Srikar Yenuka. Er ist bei Chetna zuständig für das Thema nachhaltiger Landbau und war im Oktober vergangenen Jahres in Österreich zu Gast, wo er Fair-Trade-Geschäfte besucht hat – denn auch hierzulande wird bio-faire Kleidung aus Chetna-Baumwolle verkauft.
Während die Bio-Prämien direkt an die Bauern gehen, werden die Fair-Trade-Prämien an die Kooperativen, in denen die Chetna-Bauern organisiert sind, ausbezahlt. Was dann mit dem Geld passiert, wird basisdemokratisch entschieden.
Kaum Abwanderung, keine Suizide mehr
Seit Chetna die Arbeit aufgenommen hat, hat sich für die Adivasi-Bauern viel zum Positiven geändert. Eine Studie, die Chetna 2016 in Auftrag gegeben hat, zeigt das auch in konkreten Zahlen, berichtet Srikar Yenuka. Das durchschnittliche Haushaltseinkommen der Bauern ist um fast 50 Prozent gestiegen, die Abhängigkeit von Geldverleihern ist indes ebenso massiv zurückgegangen wie die Abwanderung aus der Region, die von 83% auf 3% gesunken ist. In den Dörfern, in denen Chetna mit Bauern zusammenarbeitet, konnte die Ernährungssicherheit auf 100% gebracht werden – und unter den Bio-Bauern gibt es auch keine Suizide mehr.
Die Umstellung vom konventionellen Anbau auf den Bio-Anbau dauert drei Jahre: zwei Jahre für den kompletten Verzicht auf Chemikalien und ein drittes Jahr, indem erstmals der biologische Anbau „getestet“ wird, bevor die offizielle Zertifizierung als Bio-Bauer vergeben werden kann. Anders als man annehmen könnte, ist diese Zeit der Umstellung nicht mit hohen Zusatzkosten verbunden: Durch den Verzicht auf teure Pestizide und chemische Düngemittel müssen die Bauern in der Umstellungsphase sogar Jahr für Jahr weniger Geld in die Hand nehmen. Pro Jahr wollen diese Umstellung rund 1000 neue Bauern durchführen – bei Chetna ist die Nachfrage nach der bio-fairen Baumwolle trotzdem immer größer als das Produktionsvolumen.
Randerscheinung trotz vieler Vorteile
Dennoch ist der Bio-Baumwollanbau nach wie vor eine Randerscheinung – und das, obwohl es unterm Strich weniger kostet, die Bauern gleichzeitig auch Nahrungsmittel anbauen können und der Rückhalt in den Kooperativen eine zusätzliche Stütze für die Bauern bietet. Ein Grund dafür ist, dass der Bio-Anbau arbeitsintensiver ist, meint Srikar Yenuka. Ein großes Problem stellt aber das fehlende Bewusstsein dar, was am konventionellen Anbau schlecht ist und welche Vorteile Bio-Anbau bietet. Die indische Regierung subventioniert außerdem nach wie vor die Ausgabe von Chemikalien und unterstützt damit den konventionellen Anbau. Dieser wird auch auf den Universitäten gelehrt und in Bauernfamilien von Generation zu Generation weitervermittelt.
Umso wichtiger sind Initiativen wie Chetna – speziell für die Klein- und Kleinstbauern, ist sich Srikar Yenuka sicher. Der bio-faire Anbau schont Boden und Umwelt und ermöglicht den Bäuerinnen und Bauern bessere Löhne, gesündere Arbeitsbedingungen und mehr Ernährungssicherheit.
Doch an dieser Stelle ist es mit der Fairness nicht zu Ende: Denn Chetna verkauft Baumwolle nur an Textilbetriebe, die ebenfalls Fair-Trade-zertifiziert sind und nachhaltig arbeiten. Davon profitieren am Ende auch ganz konkret die Konsumenten in Europa, Asien oder den USA, wohin Chetna-Baumwolle exportiert wird – und zwar durch garantiert schadstofffreie, nachhaltig hergestellte Kleidung.
Bei Chic Ethic findet sich Baumwolle von Chetna beispielsweise in der Mode von anukoo und People Tree.