„The Green Lie“: Pauschalurteile mit Kollateralschäden

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Was uns als „bio“, „nachhaltig“ und „fair“ verkauft wird, ist eine Lüge. So lässt sich der Film „The Green Lie“ von Dokumentarfilmer Werner Boote und Aktivistin Kathrin Hartmann zusammenfassen. Die Grundaussage: Mittels Marketing wird sogenanntes „Greenwashing“ betrieben, um umweltfreundlich und nachhaltigkeitsbewusst dazustehen, aber am Ende geht es den Firmen nur ums Geld. Der Film übt berechtigte Kritik an den Machenschaften von Großkonzernen. Aber die Unterscheidung zwischen skrupellos agierenden Konzernen und engagierten, ehrlich gemeinten Unternehmungen, die sich für soziale und ökologische Nachhaltigkeit einsetzen, geht dabei verloren. Das ist unzulässig und kontraproduktiv.

Die Rollen sind gut verteilt in „The Green Lie“: Hier der naiv fragende Konsument Werner Boote, dort die wissende Aktivistin Kathrin Hartmann. So zerlegen sie die hohlen Nachhaltigkeitsfloskeln der Konzerne. Kommentiert und erklärt von Hartmann reist das Publikum von Desaster zu Desaster: Wir bekommen schreckliche Bilder zerstörter Regenwälder in Indonesien zu sehen, ölverseuchte Strände in den USA, Mondlandschaften im Braunkohleabau… Es sind aufrüttelnde Bilder, die uns vor Augen führen, welche Auswirkungen Massenkonsum und Energiebedarf auf die Natur haben. Parallel zu den Bildern werden Aussagen von Marketing- und Werbefachleuten der Großkonzerne gezeigt, die uns das Blaue vom Himmel versprechen.

Bilder wie diese gibt es in „The Green Lie“ viele zu sehen: Regisseur Werner Boote reist mit Green-Washing-Expertin Katrin Boote um die Welt und besucht die Schauplätze hinter den „grünen Lügen“. (Bild: Filmladen Filmverleih)

Die im Film mehrfach dokumentierte Story der lügenden und betrügenden Großkonzerne verfestigt beim Publikum mit zunehmender Filmdauer die demotivierende Schlussfolgerung: Vertraue niemandem, denn alle belügen Dich! Die Doku lässt uns im Gefühl: Wir können gar nichts tun, weil wir andauernd von allen „beschissen“ werden. Denn genau diesen Eindruck bekommt man vom Duo Hartmann/Boote vermittelt, das uns im Film von Desaster zu Desaster führt und kinowirksam empörende Zustände und Marketinglügen ins Bild rückt. Positive Beispiele werden im Film keine gezeigt: Keine Chance auf ein bisschen Hoffnung!

Doch etwas Positives

Gegen Ende der Doku kommt doch so etwas wie eine Erlösung. Sie kommt vom weltweit bekannten emeritierten MIT-Professor Noam Chomsky. Ganz unaufgeregt sagt Chomsky zu Regisseur Boote: „Es gibt auch gute Ansätze, konzentrieren Sie sich auf diese und weisen Sie die Propaganda zurück.“

Der emeritierte MIT-Professor Noam Chomsky rät Norbert Boote im Interview, die guten Intiativen von der schlechten Propaganda zu trennen. (Bild: Filmladen Filmverleih)

Chomskys Satz ist einer, der uns doch noch einen Hoffnungsschimmer, eine Handlungsoption bietet. Er stellt einen Gegenpol zur Botschaft des Films dar, dass alles sinnlos ist, weil wir andauernd von allen belogen werden. Es ist ein weiser Satz, denn er beinhaltet gleich mehrere interessante Themen. Erstens: Es gibt sie, die ehrlich und ernst gemeinten Ideen und Projekte, um Missstände zu verändern und Positives zu bewirken. Zweitens: Wir müssen diese ernst gemeinten Ideen und Projekte erkennen, sie in den Mittelpunkt unserer Aufmerksamkeit rücken und sie unterstützen. Drittens: Wir müssen kritisch sein, hohle Phrasen und falsche Propaganda erkennen. Wir müssen sie von den ernst gemeinten Ideen und Projekten unterscheiden und sie zurückweisen.

Es gibt nicht nur schwarze Schafe

Noam Chomsky bringt es mit seinem unaufgeregten Satz kurz und bündig auf den Punkt: Kritisch sein, nicht alles in einen Topf werfen, nicht verallgemeinern, sondern differenzieren, auf das Positive konzentrieren, handeln. Hinter schönen (Marketing-)Worten kann Gutes, weniger Gutes oder Schlechtes stecken. Es liegt an uns, es zu erkennen und zu unterscheiden.

Naivität und Gutgläubigkeit sind angesichts der Lawinen an Nachhaltigkeitsversprechen fehl am Platz, pauschale Vorverurteilung aber ebenso. Wer glaubt, weil es schwarze Schafe gibt, sind alle schlecht, gibt jenen, die sich – oftmals mit beeindruckendem Idealismus und Einsatz – engagieren, keine Chance: den Biobauern und -bäuerinnen, den Handwerkskooperativen, den Klein- und mittelständischen Unternehmen und vielen anderen.

Katrin Hartmann und Werner Boote reisen um die Welt, um grüne Lügen aufzudecken. (Bild: Filmladen Filmverleih)

Ein Pauschalurteil bietet – und das ist das Gefährliche daran – eine bequeme Lösung für ein Thema, das sonst zu komplex wird. Es bietet eine einfache, klare Handlungsanleitung: Wenn alle, die „bio“, „nachhaltig“ und „fair“ versprechen, lügen und betrügen, dann brauche ich mir keine Gedanken mehr darüber zu machen. Ich kann das Thema einfach aus meinem ohnehin schon ausreichend komplexen Leben streichen.

Pauschalurteile fordern Kollateralschäden

Genau das ist mein Kritikpunkt an Boote und Hartmann in diesem Film. Klar lassen sich „bad news“, aufrüttelnde Bilder, miese Typen und plakative (Pauschal-)Verurteilungen besser verkaufen und kinotauglich verarbeiten. Aber hier ist der Haken an der Sache: Vereinfachende Pauschalurteile reißen die guten Ansätze, von denen Naom Chomsky spricht, als Kollateralschäden mit.

Regisseur Boote und Greenwashing-Expertin Hartmann beim Einkaufen: „Die Verantwortung für Nachhaltigkeit wird auf die Konsumentinnen und Konsumenten übertragen“, kritisiert Boote schon im Trailer zum Film. (Bild: Filmladen Filmverleih)

Ein solcher Kollateralschaden ist sogar im Film zu sehen: In einer Supermarkszene wird zwischen Massenprodukten von Megakonzernen ausgerechnet auf Produkte der EZA Fairer Handel gezoomt – aber nicht etwa als lobendes Beispiel für einen jener „guten Ansätze“, von denen Noam Chomsky spricht. Die Einstellung dient zur Illustration unseres Konsumverhaltens. Boote packt sogar etwas aus dem EZA-Regal in seinen Einkaufswagen, wo es zwischen den Produkten von Großkonzernen landet, bevor Katrin Hartmann kurze Zeit später kritisch den Einkauf des Regisseurs analysiert. Dabei kommen die EZA-Produkte zwar nicht zur Sprache, durch den Kontext entsteht aber der Eindruck, diese Produkte seien mit den Massenprodukten der Konzerne in einen Topf zu werfen.

Zwischen Massenprodukten von Großkonzernen sind in „The Green Lie“ auch EZA-Produkte zu sehen. (Bild: Screenshot)

Hier haben sich die Filmemacher entweder einen groben Patzer geleistet oder ganz schlecht recherchiert: Denn die EZA ist ein mittelständisches Unternehmen, das sich seit über 40 Jahren ausschließlich dem Aufbau und der Unterstützung von kleinteiligen Produzentengruppen in Entwicklungsländern verschrieben hat. Keine Rede von einem großen, internationalen Konzern, Shareholdern und Dividendenausschüttung!

Die EZA ist in Österreich ein Vorreiter-Unternehmen im Fair-Trade-Bereich und ein leuchtendes Beispiel, wenn man das Gegenteil von Greenwashing sucht.

Die Differenzierung fehlt

Ich habe selbst Projekte, die von der EZA unterstützt werden, besucht, beispielsweise in Guatemala. Ich habe selbst gesehen, mit welchem Engagement und mit welchem Erfolg für die Erreichung von verbesserter Lebensbedingungen für die ProduzentInnen dort gearbeitet wird. Wenn Chomsky von „guten Ansätzen“ spricht, dann gehört ein Unternehmen wie die EZA in diese Rubrik.

Ist das einfach ein dummer Kollateralschaden im Film, wenn ein mittelständisches Unternehmen wie die EZA, die seit 40 Jahren ausschließlich rund um die Themen Bioanbau und Fairer Handel arbeitet, in einem Atemzug mit den großen Megakonzernen gezeigt wird? Können oder wollen Boote und Hartmann hier tatsächlich nicht differenzieren?

Wenn dem so ist, dann ist die Gesamtaussage des Films unzulässig verallgemeinernd, und der weise Satz Chomskys nur ein Ausreißer in der Filmstory. Ich hoffe es nicht, es wäre schade um die vielen Tonnen CO², die Boote und Hartmann mit ihren Reisen um die Welt in die Atmosphäre geblasen haben. Es wäre auch eine Beleidigung derer, die sich tatsächlich in vielen guten Projekten und Initiativen engagieren – jene, von denen Chomsky spricht. Und es wäre schade um jene Menschen, die sich vielleicht aufgrund dieses Films in Zukunft keine Gedanken mehr machen wollen, wie wir unsere Welt ein bisschen besser machen können.

Last but not least: Man sollte den Film – trotz aller Kritikpunkte – ansehen.

(EDIT, 10.04.2018: Wir haben den Beitrag noch einmal überarbeitet, um gewisse Punkte noch klarer herauszuarbeiten.)

8 Kommentare

  1. Danke, Andreas, für diesen die Problemlage gut zusammenfassenden Kommentar! Ich leite ihn an die Menschen weiter, die hier bei uns in Lieboch um die Verbreitung des fairen Handels bemüht sind und sicher auch nicht wollen, dass ihr Engagement mit dem Handeln der Großkonzerne in einen Topf geworfen wird.

    1. Vielen Dank für die Rückmeldung. Bitte gerne den Artikel weiterleiten. Wir finden, es gehört differenziert und es gehört gesagt, dass es eben nicht nur schwarze Schafe und nicht nur inhaltsleeres Greenwashing gibt, sondern auch ehrliche Bemühungen und gute Initiativen!

  2. Ich bin sehr dankbar für euren Beitrag, denn ihr bringt genau auf den Punkt, was ich mir schon länger denke! Ich finde diesen Artikel wirklich sehr gut.

  3. Guten Tag,
    ich schreibe eigentlich sehr ungern Rückmeldungen zu Internet-Artikeln, Blogs etc., doch in meiner aktuellen Recherche bin ich – wie Schüler:innen es wahrscheinlich auch würden – auf diesen Artikel von Ihnen gestoßen. Dass ich schon vier Jahre „zu spät“ bin, ist egal.
    Dass der Film einen fahlen Beigeschmack hat ob des erdrückenden negativen Impetus – da stimme ich Ihnen durchaus zu. Neben meiner Tätigkeit als „Ökologie-Lehrer“ bin ich allerdings auch promovierter Literaturwissenschaftler, der diese meiner Ansicht nach einseitige Interpretation (Stichwort „EZA“ und „In-einen-Topf-werfen“) so nicht stehen lassen kann. In meiner Lesart wird dem Konzept des Filmes dadurch sogar sehr gut entsprochen, auch wenn es irritierend ist; und ich denke, die zwei Protagonisten können sehr wohl differenzieren – ob sie es an dieser Stelle wollen, ist tatsächlich eine andere Frage. Der/die stereotype, „naive“ Konsument:in denkt eben nicht viel darüber nach, zu was er/sie greift, schmeißt einmal das, einmal das in den Einkaufswagen, hin und wieder weil es gut schmeckt, dann weil es billig ist, dann – vielleicht – für ein bisschen Gewissensberuhigung, weil man irgendwo in seinem Kopf ja schon einmal etwas von den Problemen der Welt gehört hat – aber im Endeffekt zeigt es – wie gesagt in meiner Lesart – einfach die durchschnittliche Willkür und den durchschnittlichen Zufall der Produktauswahl. Ein EZA-Produkt steht fast neben einem Nestlé-Produkt, mal greif ich zu dem, mal zu dem – egal, willkürlich, zufällig – wie die Produktplatzierung des Supermarkts und die von mir eingeplante Einkaufszeit eben zusammenpassen.
    Ich finde es durchaus in Ordnung, wenn man aus welchen Gründen auch immer, es persönlich anders gemacht hätte – aber ich versuche Dokumentationen immer – wie auch geschriebene Literatur – wie ein Kunstwerk zu sehen, dass in gewisser Weise offen ist, dass auch provozieren und Diskussionen anregen will. Einen Film wie eine „klare“ Politiker:innen-Aussage zu sehen, halte ich für problematisch, weil es in Richtung „Häme“ geht, die insgesamt positiven Impetus in der Gesellschaft erschwert; bzw. würde man dann ja in die gleiche „Falle“ tappen: indem man „Einseitigkeit“ vorwirft, interpretiert man selbst einseitig.
    Und ihr letzter „last but not least“-Satz ändert daran leider nicht viel.

  4. Hallo Herr Galler,
    danke für ihren Kommentar!
    Ich habe die Doku 2018 gesehen und jetzt vor Kurzem nicht nochmals, als sie im ORF gezeigt wurde; deshalb ist meine Erinnerung schon etwas verblasst und mein Urteil etwas milder – und wahrscheinlich würde ich den einen oder anderen Satz nun etwas anders formulieren 🙂
    Was mich damals erbost hat, ist die Fokussierung auf das Negative in der Doku. Warum erbost mich das so? Weil wir es fast tagtäglich in unsere Arbeit mit Leuten zu tun haben, die sagen: „Das ist doch alles gelogen, die sind doch alle gleich, die betrügen uns.“ Und als Mensch der seit seiner Teenagerzeit mit dem Fairen Handel zu tun hat (ich bin über meinen engagierten Religionslehrer dazu gekommen), ärgert mich diese Haltung enorm. Es gibt eben ganz viele Initiativen, die ernst und ehrlich gemeint, viel Positives tun. Eine Doku, die in diese positive Richtung geht, ist „Zeit für Utopien“ von Kurt Langbein. Auch darüber habe ich einen Blogbeitrag geschrieben (https://blog.chic-ethic.at/zeit-fuer-utopien-eine-dosis-hoffnung/).
    Aber die alte Journalismus-Weisheit „Bad News Sells Better Than Good News“ stimmt leider einfach: „The Green Lie“ kommt ins Hauptabendprogramm und „Zeit für Utopien“ nicht.
    Das Tragische bei dieser Fokussierung aufs Negative ist der Fatalismus der daraus entstehen kann und gegen den ich gerade bei jungen Leuten in Diskussionen leidenschaftlich dagegen halte. Wir werden eben nicht von allen „beschissen“; wir können doch etwas gegen Armut, Ungerechtigkeit, Klimawandel etc. tun. Es gibt viele positive Beispiele dafür, nur wird kaum darüber berichtet. Positives motiviert, Negatives erzeugt Fatalismus und ein Gefühl der Ohnmacht: Von Ersterem können wir in diesen Zeiten sehr viel brauchen, von Zweiterem ganz und gar nicht.
    Jetzt bin ich nicht direkt auf Ihre Kritikpunkte zu meinem Blogbeitrag eingegangen, aber vielleicht wird mit dieser Antwort mein Kommentar etwas erklärlicher…
    Ich hätte in meiner Schulzeit auch gerne einen engagierten „Ökologie-Lehrer“ gehabt; aber ich hatte schon Glück mit einem tollen Religionslehrer,
    herzliche Grüße,
    Andreas Reiter

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